Economiesuisse lancierte eine Lobbykampagne gegen ein griffigeres CO2-Gesetz. Aufgrund ihrer Präsenz auf CO2.ch und ihrer Unterstützung der Aktion wurde die Firma „Mammut“ und später weitere bekannte Schweizer Grossunternehmen zum Ziel einer erfolgreichen Social-Media-Kampagne. Der Initiator Andreas Freimüller beschreibt die Dynamik und den Verlauf der viel zitierten Kampagne. Er stellt aber auch klar, dass Social Media nur eine Oktave auf der Campaigning-Klaviatur umfasst.
von Andreas Freimüller
Für das Klima oder die Marke?
In einem Interview mit 20 Minuten Online nimmt Rolf Schmid, CEO von Mammut, Stellung zum CO2-“Shitstorm“ vom August dieses Jahres: „Wir wurden in der Idee bekräftigt, dass wir uns als Firma nicht politisch äussern dürfen“. Auch wenn ich nie davon ausging, dass sich Mammut aus klimapolitischer Überzeugung auf die CO2.ch-Liste von Economiesuisse setzen oder sich von ihr entfernen liess, störe ich mich an dieser Aussage. Es macht den Anschein, dass das ökologische Image von Mammut der Markenpflege zuliebe und eben nicht aus politischer Überzeugung sorgsam aufgebaut wurde und aufwendig gepflegt wird. Glaubwürdiger wäre, wenn Rolf Schmid sich klar zur Nachhaltigkeit bekannt, und so die von Mammut kommunizierten Werte bekräftigt hätte.
Die Rolle von Mammut
Welche Rolle Mammut in der Kampagne gegen die CO2.ch-Liste wirklich zukam, ging in der allgemeinen Aufregung und in der Diskussion des Einzelfalles weitgehend unter. Dieser Beitrag soll aufzeigen, wie sich einzelne Aktivitäten und Ziele in einer Kampagne, wie in einer Perlenkette aneinanderreihen. Eine einzelne Perle ist schön und wichtig, aber erst als Kette werden Perlen wirklich tragbar. Für die Planung einer erfolgreichen Kampagne ist es wichtig, die ungefähre Art und Anzahl Perlen bereits im Vorfeld zu kennen. Welche Perle am Ende als Prunkstück in der Mitte landet, kann und darf in der Regel erst im hoffentlich dynamischen Verlauf der Kampagne eruiert werden.
Social Media machen den Unterschied
Die Geschehnisse im Falle Mammut sind an verschiedener Stelle (BisCulmCom, bernetblog) umfassend dokumentiert und analysiert worden. Ich war nicht der Erste der sich über die Kampagne von Economiesuisse und www.co2.ch aufgeregt oder bei gelisteten Firmen interveniert hatte. Mir sind mehrere Menschen bekannt, die sich deutlich früher kritisch bei Mammut oder anderen Firmen und Verbänden zu Wort gemeldet hatten. Diese Interventionen sind aber zumeist ohne Folgen geblieben und haben weder zu nennenswertem Druck geführt, noch zu einem öffentlichen Diskurs beigetragen. Dieser Post alleine hätte normalerweise kaum mehr Echo ausgelöst als die meiner VorposterInnen:
Abbildung 1: Beitrag von Andreas Freimüller auf Mammut-Fanpage
Hier zeigt sich jedoch die einzigartige Stärke von Social Media für CampaignerInnen: Die Verstärkung und Verbreitung einer Einzelmeinung durch unterstützende Stimmen im (quasi)-öffentlichen Raum.
Mit Mammut den Stein ins Rollen gebracht
Ich berief mich bei meinem Vorgehen auf einen Grundsatz der Kampagnenplanung: Du sollst Dir erreichbare Ziele setzen. Aus diesem Grund wollte ich Mammut zuerst zum Ziel der Kritik machen. Hätte ich Economiesuisse direkt attackiert, wäre ein vergleichbares Momentum nie zu Stande gekommen. Natürlich war es dabei essentiell die eignene Kreise für das Anliegen zu mobilisieren. Da die Spannung zwischen der kommunizierten und der gelebten Nachhaltigkeit im Fall Mammut ausserordentlich gut sichtbar gemacht werden konnte, war es auch möglich, rasch genug UnterstützerInnen zu mobiliseren. Die Einfachheit der Forderung „von der Liste streichen lassen“ hat ebenfalls unterstützend gewirkt. Die Verantwortlichen von Mammut haben nach anfänglicher Unsicherheit richtig reagiert und sich von der Liste streichen lassen. Mit Mammut hat ein besonders bekanntes und empfindliches Unternehmen eingelenkt und gezeigt, dass der Wandel im Kleinen (die Löschung von der CO2.ch-Liste) machbar ist. Dies hat den Aufbau der notwendigen kritischen Masse weiter beschleunigt und rasch dazu geführt, dass auch Online-Medien über den Fall berichteten.
Sunrise, Swiss Life & Co.
Sunrise und Swiss Life, beides grosse Kunden mit wichtigem B2C(Business-to-Customer)-Anteilen waren die eigentlichen Bewährungsproben in der Kampagne. Beide haben sich kaum im Diskurs engagiert und machten darum nicht den Anschein, Ihre Haltung ändern zu wollen. Aber alte Redewendungen gelten auch in der Virtualität: Steter Tropfen höhlt den Stein. Beide Konzerne haben, vermutlich um damit sich selbst und Economiesuisse den damit einhergehenden Gesichtsverlust zu ersparen, nicht einlenken wollen. Gleichwohl wird gemunkelt, dass ein schadenfreier Ausstieg wie zum Beispiel die Löschung der CO2.ch-Liste schon während geraumer Zeit ein Thema war.
Economiesuisse an der Flanke erwischt
Eigentlich ging es ja immer um Economiesuisse. Nur ist Economiesuisse leider ein schauerlicher Gegner. Es ist bekannt, dass der Wirtschaftsverband vornehmlich für Grossunternehmen und die Kapitalmärkte einsteht. Umso weniger erstaunlich ist es, dass eine gut dotierte Kampagne gegen das CO2-Gesetz angedacht und in die Tat umgesetzt wurde. Economiesuisse sagt zwar, dass sie sich für Nachhaltigkeit engagieren, aber glauben tut das eigentlich Niemand. Mit der CO2.ch-Liste hat Economiesuisse vorgegeben, eine mächtige Phalanx aus Unternehmen aufgebaut zu haben, die sich ebenfalls gegen ein griffiges CO2-Gesetz einsetzt, um damit den Verbandsbestrebungen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Mit dieser Taktik hat Economiesuisse eine Flanke geöffnet und sich angreifbar gemacht.
Winkelried 2.0
Auf Tagesanzeiger Online wurde ich für mein Engagement in den Kommentaren unter anderem als Winkelried bezeichnet. Damals habe ich darüber geschmunzelt. Taktisch könnte man die Vorgehensweise durchaus als Anlehnung an den Helden aus der Schweizer Geschichte sehen. Mit dem Vorteil, dass Kampagnen heute in der Regel nicht mehr mit realen Lanzen und blutigem Aufspiessen geführt werden. Der Fall Mammut dürfte in der Analogie dem ersten Bündel Lanzen einer kleinen Gruppe Winkelrieds entsprechen. Durch diesen Erfolg war es möglich, mehr Leute für den Feldzug gegen die CO2.ch-Liste zu mobilisieren. Diese konnten durch die geschaffene Bresche eindringen und mit Posts, Telefonanrufen, Wendesätzen und vielem mehr weitere Unternehmen oder auch Verbände wie den Schweizerischen Versicherungsverband SVV aus der Economiesuisse-Phalanx herausbrechen.
Strategien gegen den Untergang
Bemerkenswert ist, das die gewählten Gegenstrategien der betroffenen Unternehmen für das Endresultat gar nicht so bedeutend waren. In einem Blogbeitrag publizierte der Direktor des Schweizerischen Gasverbandes, Jean-Marc Hensch, eine Anleitung zum Bewältigen oder vielleicht besser, zum Aussitzen, von „Shitstorms“. Guido Müller, Dozent für Marketing an der HWZ in Winterthur hat in einer Blog-Replik die wichtigsten Kritikpunkte an Hensch‘s Herangehensweise zusammengefasst. Die Erfahrung zeigt, dass man sich in stürmischen Social Media-Gewässern besser nicht an Herr Hensch‘s Empfehlungen hält. Das Fluten der eigenen Pinwand mit Beiträgen ohne Kampagnenzusammenhang wurde zum Beispiel von Sunrise emsig versucht, konnte aber mit wenig Aufwand von AktivistInnen kompensiert werden. Auch die empfohlene Analyse sollte wohl besser zu anderen Schlüssen führen als die von Herr Hensch. Dazu mehr im nächsten Abschnitt.
Das MAP (Market, Analysis and Planning) Modell
Das empfehlenswerte Buch „Doing Democracy“ von Bill Moyer wurde lange vor dem Zeitalter der Social Media geschrieben. Die daraus abgeleitete Grafik zeigt die verschiedenen Rollen von Teilen der Gesellschaft, die in Veränderungsprozessen relevant sind.
Abbildung 2: Activist Roles
Die Rolle der Rebellen, die vor und nach einem sogenannten „Trigger-Event“ zum Zuge kommen liegt in Social Media naturgemäss bei einer kleinen Gruppe von AktivistInnen.
Je nach Verhalten der Gegenpartei bleibt diese Gruppe auch klein. Am Ehesten ist dies der Fall, wenn der Diskurs ernsthaft und offen angegangen und das Problem so rasch als möglich bereinigt wird. Dieses Opportunitätsfenster („window of opportunity“) ist kurz, aber sehr wertvoll. Gerade dieser Tage erfährt dies schmerzhaft der Online-Bezahldienst Paypal, dessen unklare Geschäftsbedingungen, gepaart mit unterirdischem Kundendienst zu einem „Shitstorm“ erster Güte geführt haben. Hätte Paypal rasch und klug reagiert, wäre der kleine Kreis der „Rebellen“ gar nie gross und mächtig geworden.
Das Zusammenspiel von On- und Offline
Bei allem Lärm um Social Media muss klar sein: Das Leben findet nach wie vor nicht in Serverfarmen statt. Deshalb muss eine Kampagne, will sie wirklich Relevanz gewinnen, so rasch als möglich das Online-Treibhaus verlassen und komplementär auch offline wirksam werden. Die klassischen Campaigning-Disziplinen Recherche, Medienarbeit, Lobbying, Advocacy, Veranstaltungen usw. haben nicht im Geringsten an Bedeutung verloren. Sie haben sich durch die Demokratisierung der Informationsverbreitung nur etwas verändert. Nur wenn Mammut-Jacken vornehmlich in „Second-Life“ verkauft und getragen würden, könnte eine rein virtuell geführte Kampagne mit rein virtuellen Auswirkungen tatsächlich relevant werden.
Strategie und Fazit
Die Strategie, Economiesuisse nicht frontal, sondern an der offenen Flanke anzugreifen, hat meines Erachtens gut funktioniert. Vor die Wahl gestellt, entweder einen geordneten Rückzug anzutreten oder noch 200 Mal verlieren zu können, hat Economiesuisse die einfachere Wahl getroffen und die CO2.ch-Liste vom Netz genommen. Das ändert nichts an der klimafeindlichen Haltung des grössten Wirtschaftverbandes der Schweiz, ich weiss. Aber es zeigt, dass wenige motivierte Menschen, ausgestattet mit den richtigen Werkzeugen und etwas Chuzpe, in der Lage sind, einer hochpotenten und durchorganisierten Kampagnenmaschine wie Economiesuisse Paroli zu bieten.
Dank
Ich hoffe, dass dieses Beispiel auch anderen Menschen Mut macht, in ähnlichen Situationen ähnlich zu handeln und Einfluss zu nehmen, auch wenn der Gegner übermächtig zu sein scheint. Ohne die zahlreichen Menschen, die sich mit grossem Einsatz demselben Ziel gewidmet haben und gegenseitig ermutigt haben, wäre in dieser Sache gar nichts passiert. Nicole Seitz zum Beispiel, eine der aktivsten MitkämpferInnen in der CO2.ch-Sache, hat seither eine eigene Initiative losgetreten und kämpft mit einigem Erfolg dafür, dass die ETH nicht zu Atomstrom zurückkehrt.
Die Rolle der Unternehmen Kampagnenforum / Kampaweb
Es ist sicher so, dass die unerwartete Publizität auch für die zwei Unternehmen vorteilhaft war. Gleichwohl ist die CO2.ch-Kampagne eine Privatinitiative gewesen. Seit ich vor über 20 Jahren zum ersten Mal an einer Aktion von Greenpeace mitmachte, habe ich mich freiwillig und später beruflich intensiv mit Kampagnenführung und gesellschaftlicher Veränderung beschäftigt. Auf dieser Basis ist 2001 die Kampagnenforum GmbH und 2011 die Kampaweb GmbH entstanden. Beide Unternehmen beschäftigen sich beratend und ausführend mit der Kampagnenführung. Offline und online. Der Wille und auch die Lust, als Individuum Einfluss zu nehmen war bei mir schon viel länger da als die beiden Kampa-Unternehmen.