Weshalb überhaupt? Die Schweiz wird überall auf der Welt als Vorbild für Bürgerbeteiligung zitiert. Das Initiativ- und Referendumsrecht gibt den StimmbürgerInnen in der Tat weitreichende Möglichkeiten auf Verfassung und Gesetze Einfluss zu nehmen. Hinzu kommen ausgefeilte Vernehmlassungsprozesse, bei denen viele Stakeholder an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung teilhaben können.
Weshalb überhaupt? Die Schweiz wird überall auf der Welt als Vorbild für Bürgerbeteiligung zitiert. Das Initiativ- und Referendumsrecht gibt den StimmbürgerInnen in der Tat weitreichende Möglichkeiten auf Verfassung und Gesetze Einfluss zu nehmen. Hinzu kommen ausgefeilte Vernehmlassungsprozesse, bei denen viele Stakeholder an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung teilhaben können.
von Andreas Freimüller
Dieser unbestritten hohe Entwicklungsstand in Sachen Bürgerbeteiligung in der Schweiz darf uns aber nicht dazu verleiten, unaufmerksam zu sein und neue Werkzeuge und damit verbundene Möglichkeiten nicht auf ihren potentiellen Nutzen zu prüfen. Demokratiemüdigkeit und das Gefühl von Ohnmacht gegenüber “denen da oben” sind auch bei uns verbreitet. Gleichzeitig ist die Besetzung von Milizämtern immer schwieriger geworden, wohl auch, weil der Spagat zwischen dem “mitbestimmen wollen” und der verfügbaren Zeit dafür immer schwieriger aufzulösen ist. Mit der heutigen Mobilität klaffen auch Wohn- und Arbeitsort auseinander. Projekte, die am Arbeitsort entstehen, betreffen auch Pendler oder anderweitige Nutzer vom öffentlichen Raum. Warum sollen da nur die ortsansässigen Menschen bestimmen sollen?
Kritische Stimmen werden sagen, dass bereits sehr viel Einbezug bei grossen Projekten stattfindet. Das stimmt aber nur teilweise. Sicher werden Parteien, Gewerbeverband, Quartierverein und Co. eingeladen. Aber alle Menschen, die nicht organisiert sind, werden aus dieser Entwicklung ausgeschlossen. Ist das richtig?
Nein, vor allem da es Lösungen gegen diese Defizite gibt. Dank Online-Bürgerbeteiligung können Menschen auf einfache Art und Weise mitreden, ohne an abendfüllenden Veranstaltungen teilnehmen zu müssen, vielleicht auch am Sonntagmorgen vor dem Frühstück. Diese zusätzlichen Freiheitsgrade können bei vielen den Unterschied machen zwischen stumm bleiben oder mitreden.
Vorbilder
Deutschland, aus unserer Sicht ein Entwicklungsland in Sachen direkter Demokratie, hat seine Schwäche zur Stärke gemacht. Auf verschiedenen Ebenen wurden und werden Tools entwickelt und eingesetzt. Das Spektrum reicht dabei von sehr planerischen Fragestellungen mit GIS (geografische Informations-Systeme)-Einbezug bis zu Entscheidungsfindungsprozessen bei der deutschen Piratenpartei. Die Diskussion geht dabei schnell in die Richtung, dass bestehende Beteiligungsprozesse durch digitale Varianten abgelöst werden könnten. Das geht am Kern vorbei, denn die Ablösung von geheimen Wahlen oder Abstimmungen durch digitale (und öffentliche) Entscheidungsfindungsprozesse würde mehr Schaden als Gutes tun.
Typische Prozesse
Im Online-Partizipationsprozess finden sich typischerweise vier Elemente:
- Beschreibung der Problemstellung, was ist Gegenstand der Diskussion und was nicht.
- Beschreibung des Prozesses der Beteiligten und deren Rollen. Insbesondere auch die Frage: was geschieht mit den Ergebnissen, sind Abstimmungsresultate verbindlich oder nicht?
- Die Sammlung von Beiträgen und Ideen, sowie deren Bewertung, Kommentierung und Priorisierung.
- Rückmeldung an Beteiligte, wie das weitere Vorgehen aussieht.
Ein Beispiel:
Die Stadt Stuttgart hat neuerdings ein Beteiligungsportal: http://www.beteiligungsportal-stuttgart.de
Darauf werden jetzt, im Vorfeld einer Bürgerversammlung vom 10. Oktober, die Prioritäten der BürgerInnen für die Entwicklung von Obertürkheim erfasst.
Die Beteiligungsseite wurde offensichtlich noch nicht von BesucherInnen überschwemmt. Es fragt sich, ob die Online-Partizipation nicht auch immer gekoppelt mit E-Mail-Marketing für die Mobilisierung sein müsste. Wenn die Stadt systematisch an der elektronischen Erreichbarkeit ihrer BewohnerInnen arbeiten würde, könnte sie effektiv und schnell zum Mitmachen einladen.
Doch es gibt auch andere Beispiele, wie das der kleinen Gemeinde Wennigsen, welche 2012 den Preis für Online-Partizipation gewann. In Wennigsen ging es um die Neugestaltung eines Quartiers. Auffallend war, dass gerade Menschen ab 60 Jahren sich überdurchschnittlich beteiligten. Ein Resultat, welches auf den ersten Blick auch nicht zu erwarten wäre. Bei der Auswertung gaben 88% der Bevölkerung an, dass sie mit dem Projekt zufrieden sind.
Mögliche Anwendungsfälle für Online-Partizipation sind:
- Stadt-/Ortsentwicklung
- Jugendpolitik
- öffentliche Haushalte (Bsp: https://buergerhaushalt.stadt-koeln.de/2013), wo das Budget der Stadt Köln breit öffentlich diskutiert wurde
- Integration (Bsp: https://buergerhaushalt.stadt-koeln.de/2013)
- Schwimmbad
- Sportanlage
- Gemeinschaftsanlage
- Mobilitätsplanung
- Littering
- Quartiergestaltung
- Plätze, Grünanlagen
Vorteile der E-Partizipation
- E-Partizipation schlägt die Brücke zwischen direkter und repräsentativer Demokratie, die in Deutschland bisher nur selten genutzt wird.
- E-Partizipation erlaubt den Bürgerinnen und Bürger die zeit- und örtlich ungebundene demokratische Mitwirkung an der politischen Entscheidungen.
- E-Partizipation ermöglicht eine aktivere Gestaltung des Staat von unten und innen heraus.
- E-Partizipation ist eine Möglichkeit die Beteiligung des Souveräns auch während einer Legislaturperiode zu gewähleisten.
- E-Partizipation ermöglicht das Konzept der Bürgerschaft als ständigen Leistungsverstärker in dem “Dienstleistungsunternehmen” Staat/Land/Kommune.
- E-Partizipation dient als bisher kaum genutzte Konsulationsquelle im politischen Entscheidungsfindungsprozess.
- E-Partizipation bietet die Möglichkeit durch das Internet (und anderen elektronischen Medien) neben der (klassischen) Bürgerbeteiligung mehr Transparenz in politische Entscheidungsprozesse zu bringen.
- E-Partizipation befähigt die Regierung mit seinen Bürgern (Auftragsgebern) direkt in Kontakt zu treten.
- E-Partizipation ermöglicht durch die Kombination von Information, Konsultation und Partizipation eine Verbesserung der Möglichkeiten von (Bürger)Beteiligung am (politischen) Meinungsbildung- und Entscheidungsfindungsprozessen.
- E-Partizipation fördert das Verständnis des Bürgers für die Wichtigkeit von politischen Reformen und Veränderungen.
(Quelle: http://www.e-demokratie.org/so-sollte-es-sein/10-grunde-fur-e-partizipation)
Im nächsten Beitrag zu diesem Thema gehen wir darauf ein, wie ein Kanton, eine Region, eine Gemeinde vorgehen kann, um die Vorteile von E-Partizipations-Tools für sich zu erschliessen. Eine Übersicht der einsetzbaren Produkte mit unseren Empfehlungen rundet den nächsten Beitrag ab.
Ihre Frage zum Thema E-Partizipation erreicht mich in der Zwischenzeit unter afm@kampaweb.ch.