Viele erfahrene Campaigner haben sich gewundert, wie es kommt, dass ein halbstündiges Online-Video, wie das von Kony 2012, im schnellebigen Klick-Away-Umfeld der Social-Media-Kanäle tatsächlich geschaut wird und viral werden kann.
von Peter Haberstich
Hier ein paar Gedanken dazu mit Fokus auf Dramaturgie und Nachrichtenwerttheorie.
1. Nähe und persönliche Relevanz
Das Video geht am Anfang direkt vom Alltagsleben des durchschnittlichen Zuschauers aus und schafft damit eine situative Relevanz, die den Betrachter bindet. Einer der ersten Sätze nimmt gar Bezug auf die Situation, in welcher die meisten Zuschauer sich genau in dem Moment befinden, in dem sie das Video schauen: Sie sind auf Facebook. Damit sind schon wichtige
Nachrichtenwerte wie "Nähe", "Konsonanz" oder "persönliche Betroffenheit" geschaffen.
Dieser Topos geht nahtlos über in weitere Themen wie "Geburt", "Liebe" oder "Verwandschaft" welche schlicht von jedem einzelnen Menschen auf der Welt mit starken Emotionen und Erlebnissen assoziert werden können.
Die Macher schaffen es damit, eine starke persönliche Relevanz des Inhalts zu suggerieren, obwohl sie gleichzeitig auf einer absolut allgemeinen Ebene bleiben. Damit schaffen sie es sich einen emotionalen Boden für die kommenden Inhalte zu legen und "
framen" diese als etwas "Persönliches".
2. Spannungsdramaturgie
Erst nach diesen "Vorbereitungsarbeiten" kommt der Erzähler auf das eigentliche Thema zu sprechen. Und er erzählt dabei von Dingen, welche die meisten Menschen instinktiv am liebsten verdrängen oder ausblenden würden. Ohne den oben beschriebenen Einstieg würde der Durschnittszuschauer zu diesem Zeitpunkt wegklicken.
Ein weiterer Grund, warum das Publikum bei diesem Film dran bleibt, ist die süsse Verpackung des Inhalts in Kindersprache: Der Erzähler erzählt Kony's Greueltaten so, dass es nicht mal seinen 5-jährigen Sohn schockiert. Und er zeigt dabei nicht Bilder von vergewaltigten Mädchen, sondern das schnüggelige Gesicht seins Sohnes.
Viel wichtiger aber noch ist der Einsatz von klassischen
spannungsdramaturgischen Mitteln, wie sie in jedem Thriller vorkommen: Der Erzähler verspricht eine Enthüllung und hält den Zuschauer hin, bis er sein Verprechen einlöst. Die versprochene Enthüllung ist in diesem Fall der Plan, wie Kony gestoppt werden kann. Der Zuschauer wird immer ungeduldiger und fragt sich, was er tun kann. Der Erzähler deutet zwar immer wieder darauf hin, dass es einen Plan gibt, verrät diesen aber erst ganz am Schluss.
Auch wenn ich mit der im Video vorgeschlagenden
Theory of Change nicht einverstanden bin (
siehe Artikel auf Zeit Online): Der Film Kony ist ein sehr gutes Lehrstück über Mobilisierung durch
Storytelling in einem Themenbereich, von welchem die meisten Menschen lieber nichts wissen möchten.