Letzten Freitag gewann der brasilianische Rohstoffkonzern Vale den Public Eye Award für seine Beteiligung am Bau des Belo Monte-Staudamms. Bereits letztes Jahr zogen brasilianische AktivistInnen mit Schauspielerlnnen und Models in den Kampf gegen das Jahrhundertprojekt. Ein Einblick in die erste "seriöse" Online-Debatte in Brasilien und was daraus gelernt werden kann.
von Adrian Mahlstein
Der Auftakt: Die Sternchen und die Bewegung "Wassertropfen"
In einem 5-minütigen Kampagnenvideo unter der Regie von Marcos Prado (Tropa de Elite / Elite Squad) beziehen international bekannte SchauspielerInnen Stellung gegen Belo Monte und formieren das Movimento Gota d'Agua ("Wassertropfen-Bewegung"). Dem Zuschauer werden Fragen gestellt, er wird persönlich betroffen gemacht und damit ins Video miteinbezogen. Anschliessend werden umweltpolitische und sozialen Konsequenzen des Staudammprojekts aufgezeigt und wird auf offene Fragen hingewiesen. Es folgt ein Aufruf zu weniger politischer Ignoranz und grösserer Beteiligung, eine Aufforderung zur Unterzeichnung der Petition zuhanden von Präsidentin Dilma Rousseff und die Bitte, weitere Freunde für die Aktion zu mobilisieren. Das Video wurde bis heute mehr als eine halbe Million Mal angeklickt und die Petition von fast 1,5 Millionen Menschen unterzeichnet.
Aufgrund der illustren Persönlichenkeiten des Kampagnenvideos hat dieses bereits eine gewisse Grundresonanz erreicht. Doch erst die mangelhaften Informationen und das für informierte Kreise flagrante Unwissen der DarstellerInnen provozierte eine Debatte, die den Befürwortern half. So wurde beispielsweise behauptet das Wasserkraftwerk komme im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso zu stehen oder Wasserkraft sei keine saubere Energie. Behauptungen, welche die StudentInnen verschiedener brasilianischer Universitäten nicht auf sich sitzen lassen wollten.
Die postwendende Reaktion: Die Studenten und die Bewegung "Sturm im Wasserglas"
Studierende des Zivilingenieurwesen der staatlichen Universität von Campinas (Unicamp) lancierten das Movimento Tempestade em Copo d'Agua ("Im Wasserglase-Bewegung"). Sie produzierten eine Replik auf ersteres Kampagnenvideo und stellten darin die Informationen "richtig". Die Hauptaussagen: Das Belo Monte-Projekt sei lange evaluiert worden, es sei die wirtschaftlichste Lösung, es sei weit weniger schädlich als von gewissen Seiten propagiert und für die weitere Entwicklung Brasiliens unerlässlich. So argumentieren die Studierenden, dass alle zwei Monate ein Stück des Amazonas von der Grösse der von Belo Monte überfluten Fläche ohne Gegenwert abgeholzt würde. Gleichzeitig wird der Kritik betreffend der Umsiedlung der lokalen Bevölkerungen zugestimmt. In den Studentenvideos wird stringent argumentiert, es kommt fast der Eindruck auf, sie seien von den Befürwortern des Projektes, der Regierung und den grossen Konstruktionsfirmen, gesponsert worden sein. Beweise dafür gibt es aber keine.
Die erste "seriöse" Debatte des brasilianischen Internet-Zeitalters
Das einflussreiche Nachrichtenmagazin VEJA verschaffte der Debatte den endgültigen Durchbruch indem es "Das Knockout der Sternchen" titelte, die "Nerds" gegen die "Stars" ausspielte und sich für Belo Monte aussprach. Weiter behauptete die Zeitschrift es sei die erste "seriöse" brasilianische Internetdebatte, was natürlich wiederum die fleissigen Nutzer der Social Medias auf die Palme brachte.
Zusammengefasst, kann gesagt werden, dass nachdem das Internet bereits bei den Präsidentenwahlen 2010, der Petition "Ficha Limpa" und letztes Jahr erneut im Kontext der Korruption grosse Massen mobilisieren konnte, die Debatte rund um Belo Monte die erste grosse brasilianische Internet-Debatte mit divergierenden Meinungen war. Drei Fragen wurden dabei aktiv diskutiert: a) Ist das Wasserkraftwerk zwingend nötig? b) Gibt es bessere Alternativen? c) Welches sind die wirklichen Konsequenzen seines Baus?
Interessant ist, dass der Glaube an die Allwissenheit von Promis tüchtig erschüttert wurde und wieder einmal klar wurde, dass wer im Internet Dinge erzählt von welchen er keine Ahnung hat, schnell belehrt wird. Aufgrund der unsicheren Informationslage (Promis vs. Studierende) waren auch die Spezialisten gefragte Auskunftspersonen und wurden endlich erhört. Gelungen ist es, eine ernste Debatte zu lancieren. Vergessen ging dabei das neue Forstgesetz, welches längerfristig die wohl gravierenderen Auswirkungen auf die Zerstörung der ursprünglichen Lebensräume in Brasilien haben wird.